Überwurf und Über-Ich

DER SPIEGEL, Nr. 32, 02.08.2004, S. 154 f. [Kultur]

PSYCHOANALYSE
 

Ü B E R W U R F   U N D   Ü B E R - I C H 

Statt Stammvater Freud zu folgen und Patienten auf orientschwere Couchs zu legen, bieten Analytiker heute bunte Liegewelten mit Ikea-Schick und Kuscheltieren.

Neugierige, Flachwichser, Voyeure, nehmt euch in Acht. Gleich im Vorwort zu diesem Fotoband gibt’s Ermahnung. „Ich wünsche mir einen Umgang mit diesem Buch, der geprägt ist von äußerstem Respekt für die jeweilige Individualität, die Andersartigkeit der anderen Praxis und von Freude über die damit existierende Vielfalt.“

Also schreibt die Hamburger Psychologin, freie Autorin und Fotografin Claudia Guderian, 52, in ihrem neuen Buch „Magie der Couch“ Und bevor wir gehorsam die Hacken zusammenschlagen, sei erwähnt, dass es in dem Werk nicht um die letzten schrecklichen Geheimnisse der Seele geht, nicht um den tödlichen Kampf zwischen dunklen Es-Gewalten und gestrengen Über-Ich-Instanzen, sondern zum Liegen, Überwürfe, Kissen, Sessel, Servietten und den farblich passenden Wandanstrich.

Die da Respekt einfordert, hat Respekt verdient. Erst hat Guderian auf der Basis ihrer Dissertation ein Buch über „Die Couch in der Psychoanalyse“ herausgebracht, nun hat sie aus dem Thema einen süffigen Bildband gemacht. Wer es schon mal versucht hat, weiß, wie diskretionsbedacht die Zunft der Analytiker ist. Guderian aber hat an die 70 teilweise namhafte Psychoanalytiker kontaktiert, um deren Allerheiligstes zu fotografieren – das Behandlungszimmer mit der legendären Liege.

70-mal kam die Frau, selbst mal Couch-Patientin, zum Fotoschuss, nur bei der Frankfurter Seelenheilerin Ilse Grubrich-Simitis nicht. Die lehnte höflich, aber bestimmt eine Ablichtung ab: „Meines Erachtens ist in der Privatpraxis der Behandlungsraum mit der Couch ein Ort der Diskretion, ein exquisit nicht-öffentlicher Raum. Im Hinblick auf einige meiner Analysanden bin ich mir ziemlich sicher, dass, sähen sie auf einmal ‚ihre’ Couch in einer öffentlichen Ausstellung, sie dies als eine Grenzverletzung empfinden würden.“

O, Seele mio, der Laie wundert sich. Denn was er auf den diskreten Bildern in den geleckten Psycho-Stuben zu sehen bekommt, erscheint auf den ersten Blick so unaufregend wie der Katalog eines ordentlichen Möbelhauses.

Leicht ist zu entdecken, dass die heutigen Adepten der Psychoanalyse nicht mehr bedingungslos dem Morgenlandfaible ihres Stammvaters Sigmund Freud folgen. Dessen Behandlungssofa mit geknüpften Orientteppichen als Auflagen, monogrammverzierter Fußendendecke und rotsamtenen Kissen sah aus wie eine Liegegelegenheit aus der angestaubten First Class von Air Aladin auf dem Flug in die tausendundeins Weiten des Unbewussten.

Die meisten heutigen psychoanalytischen Behandlungslandschaften sehen lichter aus, unverplüschter und nüchterner, sehr viel nüchterner.

Die Magie der Couch – wie sollte sie beispielsweise bei dem Frankfurter Zunft-Doyen Horst-Eberhard Richter, 81, durch das Ambiente entstehen? Der Band zeigt Richters Couch-Setting im Frankfurter Sigmund-Freud-Institut, das der erste Institutsdirektor, Alexander Mitscherlich, aufgestellt hatte und das Richter bis vor zwei Jahren benutzt hat. Eine ziemlich karge Seelenkemenate. Das weiße Resopal auf hager-schwarzem Gebein, darüber die bräunliche Schaumstoffmatratze und das Keilkissen, das so streng wirkt wie sein kerndeutscher Name – viel verrät die Zimmerausstattung nicht über die hier praktizierenden Seelenärzte. Für Richter sind solche äußeren Fragen nicht so wichtig: „Entscheidend bleibt, was unmittelbar an Einfühlung, an Reflexionshilfe und an persönlicher Verlässlichkeit erlebt wird.“

Im Gegensatz zu solchem auf Innerlichkeit setzenden äußeren Spartanismus steht die Einrichtungswelt des Freiburger Analytikers Tilmann Moser („Mutterkreuz und Hexenkind“). Ein Doppelbett mit Stoffscharnier wartet auf die Kundschaft. Zehn Daunen- und Kunststoffkissen, Plüschtiere und ein Perserteppich liegen bereit. Dazu passt, dass Moser nichts von überkorrekter Abstinenz hält.

Wenn der Patient es will, legt ihm Moser schon mal die Hand auf die Stirn. Die Analysanden dürfen auf der Liege mit den Kissen Kuschelecken oder Badewannen bauen, sie dürfen aufstehen und ihre Aggressionen an einem Stoffsack auslassen. Manchmal werden die Patienten aufgefordert, sich auf einen Teppich zu begeben. Da wälzen die sich dann, schreien oder machen Tanzschritte.

Als Analyseschüler hat Moser unter die Couch seines Lehranalytikers geschaut, um dann mit größerer Ruhe die Behandlung fortzusetzen. Schließlich empfindet Moser die Couch als den erweiterten Körper des Analytikers. Andere erleben die Psycho-Arbeit auf einer Liege wie einen Aufenthalt in einem Uterus.

Dass ein Analytiker stets hinter der Couch sitzt, so dass ihn der Patient nicht beobachten kann, ist ein Erbe aus der Frühzeit von Freuds Therapie.

Zunächst arbeitete der Wiener Arzt mit Hypnose und verabreichte über seine Klienten gebeugt eine Absence-fördernde Stirndruckmassage. Ein strenger Therapieabstinenzler war er nicht. Seine Hunde verschafften sich Zutritt in den Behandlungsraum, verhielten sich still, aber mischten in die Zweierbeziehung Arzt-Patient das Moment eines Dreiecksverhältnisses.

Heutige Psycho-Praxen zielen auf Entmystifizierung der Seelenklempnerei. Der Hamburger Privatdozent Ulrich Lamparter zündet – Abstinenz und die Verhinderung von Übertragungsanreizen beiseite lassend – in der Wache vor Weihnachten während der Analyse den Kamin an.

Nikolaus von Festenberg

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